Past Lives

Past Lives ★★★★

Der Ferne Osten hat es vielerlei Hinsicht in den Westen geschafft. Nicht nur gewinnen Japaner und Chinesen Oscars, die Koreaner sogar die ganz Großen. Filme wie "Everything Everywhere All at Once" machen asiatisch-stämmige Protagonisten endlich auch außerhalb von Kung-Fu mainstreamtauglich – egal wie viel Martial Arts nun zugegebenermaßen auch dort drin steckt. Die kulturelle Schere auf der Leinwand scheint sich immer mehr zu schließen oder zumindest scheint für immer mehr Leute im Publikum der Spagat nicht zu anstrengend. In den Figuren, den Menschen selbst ist der Pazifik aber noch nicht voll verschwunden, sein Rauschen hört nicht auf. "Past Lives" bebildert diesen nie verstummenden Wellengang in einer zarten wie reifen Liebesgeschichte.
Das Paar ist dabei eigentlich nie ein Paar. Am nächsten sind Nora und Hae Sung an diesem Status noch dran als sie 12 sind. Immer begleitet der kleine Junge das kleine Mädchen durch die Straßen Seouls nach Hause, neckt sie mit den Schulnoten, ist bei ihr, wenn sie weint. Doch dann zieht Noras Familie nach Nordamerika, gibt den Töchtern erst die westlichen Namen. Das Kinderpaar zerreißt. Zwar dauert es zwölf Jahre, doch haben sich die zwischen Seoul und New York verschlungenen Wege der beiden nicht endgültig getrennt.
"Past Lives" passt geradezu erschreckend gut in den A24-Katalog. Sowohl wegen des sensibel behandelten Themas als auch der lyrisch zarten Bilder. Und weil er ein vorprogrammierter Publikumsliebling mit diesem gewissen unwiderstehlichen Indie-Charme ist. Es mag einem als nächstes Vergleichsobjekt Lulu Wangs "The Farewell" in den Sinn kommen, alleine in der Behutsamkeit, mit der hier moderne US-westliche Selbstbestimmtheit samt eloquenter Verspieltheit und traditionelle fernöstliche Meditativität, Familienkonzeption, aber auch Spiritualität aufeinandertreffen. Nur funktioniert Celine Songs Film hier in die andere Richtung. Bei ihr ist es keine Rückkehr in die seltsam entfremdete Heimat. Vielmehr holt die Heimat einen hier ein. Persönlich in Form der Jugendliebe, kulturell schon in der Sprachbarriere, vor allem aber eben spirituell im Glauben an die sich immer wieder begegnenden Seelen. Durch Letzteres wird der Ferne Osten jedoch auch nicht mystifiziert: Kokett gesteht Nora dem hier unendlich liebenswerten John Magaro bei einer Party, dass man in Korea die Geschichte von der Seelenwanderung auch eigentlich nur nutzt, um jemanden ins Bett zu bekommen.
Dieses ironische, aber doch in seiner Doppelbödigkeit ernste Spiel mit Gefühlen, Kulturen und Schicksal macht den Charme, mehr noch: die Kraft von "Past Lives" aus. Die Figuren begreifen, in was für Situationen sie stecken, welche Wendungen ein Hollywooddrehbuch für sie vorsehen würde, wer mit wem durchbrennt, wer der Bösewicht ist. Und irgendwie können sie darüber lächeln, genau wie das Publikum. Aber irgendwie wissen sowohl die vor als auch die auf der Leinwand, dass da auch irgendetwas Wahres, etwas Tiefes, eine Sehnsucht drinsteckt, die aber auch Gefahr birgt. Man mag sich an die Erwachsenheit von Romanzen wie Leans "Begegnung" oder Wongs "In the Mood for Love" erinnern. Nur stellt Song der Enthaltung nicht wirklich romantische Intensität entgegen. Sie spielt mit dem wortlos doch allgemein kommunizierten Wissen darum, was eigentlich sein könnte, sein müsste, mit der stillen Chemie zwischen Greta Lees Nora und Yoo Teos Hae Sung. Dieser Umgang mit dem Impliziten hat in seiner Zurückgenommenheit etwas Meisterliches, gerade für einen Debütfilm. Song gelingt es, aus im Grunde nichts ein Knistern zu machen, betörende Irrlichter durch die Luft schweben zu lassen, die Gefühl aufglimmen und erstrahlen lassen, die eigentlich nicht da sind, die man aber dennoch spüren kann. In der atemberaubenden Schlussequenz braucht sie dafür auch keine Worte. Nicht einmal einen Schnitt.
"Past Lives" stiehlt sich deshalb sofort ins Herz des Publikums, weil alles so leise und selbstverständlich ist. Song macht auch dahingehend viel aus nichts, weil sowohl die Handlungsmuster sehr vertraut wirken als auch die Figuren eigentlich schrecklich langweilig und charakterlos sind. Es ist eigentlich ein Film ohne Ecken und Kanten. Vielleicht ist es aber auch dies, was diese Tragik des Schicksals so tief auslotet. Die Tragik, die eigentlich gar keine ist, die nur durch eine potentielle Möglichkeit existiert, die aber mehr als adäquate Alternativen vom Leben dargereicht bekommen hat. Und dennoch spüren alle diese Tragik, weil alle, Publikum wie Charaktere, diesen Traum aus einem anderen Leben wahrnehmen können. Ganz basale Alltagsmagie des Kinos.

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