Paranoyer’s review published on Letterboxd:
„Filmhistorisch interessant“ ist so ein Label, das suggeriert, der so beschriebene Film habe darüber hinaus nicht so viel zu bieten. Für Filmstudenten und –wissenschaftler sowie kunstbeflissene Laien interessant, alle anderen können es getrost lassen. „Der müde Tod“, wenn auch vom „Lexikon des internationalen Films“ eben mit „filmhistorisch interessant“ umrissen, ist mehr als ein obskurer Blick in die Vergangenheit des Mediums – es ist ein verschwenderischer, mit Herzblut inszenierter und gespielter märchenhafter Reigen, der einige ziemlich pointierte Bilder zu bieten hat. Natürlich ist er auch von geschichtlichem Interesse (das in diesem Fall an einigen Stellen eher auf die weniger schmeichelhaften Auswüchse verweist), aber es ist auch schlicht ein unterhaltsamer Film.
Die Quintessenz von „die Liebe ist stärker als der Tod“ wird anhand einer absolut starken Rahmenhandlung und drei schwankenden Episoden erzählt, in der die Schauspieler immer wieder in anderen Rollen und anderen Zeiten auftauchen und damit quasi ein wesentliches Element aus „Cloud Atlas“ um Jahrzehnte vorwegnehmen. Diese kann man mit einer Sensibilität des 21. Jahrhunderts für ihren eskapistischen Exotismus und einigen Klischees angreifen, dumpf rassistisch wird es aber nie. Eher bemüht sich „Der müde Tod“ um eine universelle Aussage über Zwischenmenschliches, dass nicht nur dem europäischen Kulturraum zugesprochen wird. Damit führt der Film seine Versionen von Bengalen oder China nicht plump vor, sondern setzt sie in einen größeren dramaturgischen Kontext. Gerade der Tod wird dabei zu einer Figur, die keine festgesetzte Ethnie oder Kultur besitzt.
Bemerkenswert sind die Bilder, mit denen Fritz Lang in der Rahmenhandlung aufwartet: da streben Geister aus jeglicher gesellschaftlichen Schicht zusammen einer überdimensionalen Mauer entgegen, die ins Reich des Todes führt, in diesem brennen Lebenskerzen ihrem Ende entgegen und eine Vorstellungsrunde der Dorfeltite wird zu einem satirischen Spiel mit Erwartungshaltungen. Wenn dann der Tod auch noch einen Subdiskurs über die Grausamkeit Gottes eröffnet, der nicht nur recht willkürlich Menschenleben nimmt, sondern auch den Tod (großartig verkörpert von Bernhard Goetzke) mit seiner Aufgabe quält (der Filmtitel kommt nicht von ungefähr), dann wird gewahr, dass „Der müde Tod“ neben dem unverkennbaren Unterhaltungsanspruch und der Leistungsschau visueller Effekte (es ist teilweise äußerst beeindruckend, was hier mit den medialen Mitteln der Zeit auf die Leinwand gebracht wird) auch noch das Anliegen des aktiven Nachdenkens beim Zuschauer verfolgt. Makabere Einfälle wie die Suche nach einem willigen „Lebensspender“ gegen Ende des Films helfen dabei nur noch weiter.
„Der müde Tod“ verdient es, von Filmfreunden in jeder Dekade neu entdeckt zu werden. Nicht nur wird die liebevolle Restaurierung der Murnau-Stiftung dabei helfen, auch seine ganz eigenen Qualitäten, Unterhaltung und Anspruch zu mischen, empfehlen ihn. Ein Rausch im besten Sinne.