Paranoyer’s review published on Letterboxd:
Es ist en vouge, über Animationsfilme aus den USA die Nase zu rümpfen und jene aus Japan hochzuhalten. Mit dem kunstvollen Monolithen Studio Ghibli und einer beunruhigenden Tendenz des PIXAR-Studios zu unnötigen Fortsetzungen ist dies zwar auch sehr naheliegend, aber das weite Feld zwischen den Polen wird dabei schnell aus den Augen verloren. Während in Deutschland zugegebenermaßen eher der Trickfilm á la „Werner – Gekotzt wird später“ dominiert, entstehen beispielsweise im Nachbarland Frankreich nicht nur fantastische Serien wie „Die langen großen Ferien“, sondern auch Filme wie „Der Tag der Krähen“, der Anleihen an Ghibli macht, jedoch seine eigene Stimme geradezu mühelos findet.
Zusammen mit seinem grimmigen Vater wohnt ein Junge ohne Namen (er wird von seinem Erzeuger schlicht „Sohn“ gerufen) tief in einem französischen Wald. Jahrelang hat der Alte seinem Sprössling eingetrichtert, dass man beim Betreten der Welt außerhalb des Hains verschwinden würde, weil die Existenz dort zuende wäre. Doch als sich der Vater bei einem Gewitter schwer verletzt, bleibt dem Sohn nichts anderes übrig, als Hilfe in der Außenwelt zu suchen. Für den Jungen wird dies zu einer Emanzipation von der Herrschsucht des Älteren – und auch die bisher unausgesprochene Frage, warum sie eigentlich im Wald hausen, wird nach und nach beantwortet.
Der Stil des Films mit reichhaltigen Hintergründen und Figuren, die mit viel Elan und dem leicht „unfertigen“ Stil der Disneyfilme der 1960er Jahre animiert wurden (Angst davor, die zeichnende menschliche Hand quasi bei der Arbeit zu zeigen hat der Film nicht), ist zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig, gewinnt den Zuschauer aber schnell für sich. Spätestens wenn der Film durch geheimnisvolle Wesen mit menschlichen Körpern und tierischen Köpfen, die durch den Wald streifen, Interpretationsräume öffnet, kann „Der Tag der Krähen“ nur gewinnen. Zwar präsentiert die Dramaturgie irgendwann eine Erklärung für die Geschöpfe, die stumm dem Jungen bei seinem Alltag helfen, doch sie lässt auch die Möglichkeit einer Vorstellungskraft zu, in der mangels anderer menschlicher Vorbilder Chimären imaginiert werden. Die durchaus harsche Realität (kriegerische Auseinandersetzungen existieren eindeutig außerhalb des Waldes, innerhalb regiert die unbarmherzige Hand des Vaters) und die märchenhaft anmutende „Anderswelt“ (die schlussendlich sich einer gewissen Melancholie kaum erwehren kann) sind hier keine weit auseinanderliegende Sphären, die sich punktuell berühren, vielmehr durchdringen sie sich und können nur durch die jeweils andere überhaupt bestehen.
Auch die Thematisierung des ewig jungen Vater-Sohn-Verhältnis liegt auf der Hand: der Sohn, der trotz entgegengesetzter Talente versucht, dem Vater zu gefallen, der ihn dank verkapselter Emotionen nicht so annehmen kann, wie er ist – „Der Tag der Krähen“ beschäftigt sich im Grunde genommen mit ziemlich schweren Themen, die eine sinnige Entsprechung auf der Bildebene finden: schlaksiger Junge und durch die Last seiner Erfahrungen quasi zum wandelnden Felsen verwandelter Vater (besonders gelungen ist die Visualisierung, wie Gram den Vater innerlich wie äußerlich verändert).
Zwischen all der unterschwelligen Melancholie, die sich auch über weite Strecken einer allzu schnellen, allzu leichten Auflösung verweigert (das Ende ist dabei allerdings diskussionswürdig, wenn es das aus dem Leben treten als etwas zunächst positives schildert), existiert quasi gleichzeitig eine Unbeschwertheit, die über das Abspielen von lustig gemeinten Standardsituationen hinaus geht. Die sich entwickelnden Beziehungen zwischen dem Jungen und den Menschen außerhalb des Waldes sind genuin anrührend, die Entdeckung seines eigenen Willens fernab des väterlichen Diktats interessant und die finale Suche nach der verlorenen Liebe des Erziehungsberechtigten von einer bestechenden kindlichen Logik.
„Der Tag der Krähen“ ist ein klug durchdachter Film, der zwar an manchen Stellen auf altbekannte Versatzstücke zurückgreift (z.B. der obligatorische Scheunenbrand) und seine gestalterischen Vorbilder nicht verleugnen kann, insgesamt aber ein diskussionswürdiges, reichhaltiges Filmerlebnis bietet. Der europäische Zeichentrickfilm lebt – und es geht ihm sehr gut.